In dem 1992 konzipierten Grundsatzprogramm sind die Anliegen des Vereins formuliert: Die Betroffenen sollen nicht länger Gegenstand des Streites von Juristen, einer streitigen Scheidung oder Objekt gerichtlicher Entscheidungen sein. Statt dessen sollen Selbständigkeit und Autonomie der Familien bei der Regelung ihrer eigenen Angelegenheit gefördert werden, damit sie selbst humane, familien- und kindgerechte und kreative und alternative Lösungen für die mit Scheidung und Trennung verbundenen Probleme finden können.
Wer seit 1992 bzw. in den letzten 10 Jahren die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum nachehelichen Unterhalt verfolgt hat, weiß wie unterschiedlich die Unterhaltsregelungen und damit die Ehescheidungen ausgesehen haben, je nach dem in welche Richtung das Pendel gerade ausgeschlagen ist. Nicht die sich immer wieder ändernde Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sondern die Belange der jeweiligen Familie sollten daher im Vordergrund stehen und die Betroffenen sollen darin unterstützt werden, Lösungen zu erarbeiten, die für die Ehegatten passend und praktikabel sind.
Weiter heißt es im Grundsatzprogramm: "Die Familie und die familiären Bindungen behalten in einer Zeit, in der die politische und gesellschaftliche Entwicklung auf vielen Gebieten familien- und kinderfeindlich wirkt, existenzielle Bedeutung für die einzelnen Menschen. Insbesondere für die Kinder, deren Eltern sich trennen oder scheiden lassen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass das Trennungs- und Scheidungsgeschehen durch Gesetze und die beteiligten Berufsgruppen humanisiert wird. Ihre Lebenschancen und ihre künftige Entwicklung hängen in ganz besonderem Maße davon ab, ob sich die Beziehung zu beiden Elternteilen ungestört weiterentwickeln kann. Langsam steigt die Zahl der Eltern, die auch nach Trennung und Scheidung ihre elterliche Verantwortung gemeinsam wahrnehmen wollen. Die Veränderung der gesellschaftlichen Leitbilder sowie der Gesetzeslage und Rechtsprechung vollziehen sich leider langsam."
Auch nach Trennung und Scheidung existiert die Familie bekanntlich weiter. Ihr Wohl und insbesondere das der Kinder wird durch "geglückte" und humane Scheidungen langfristig gefördert. Gerade die "Nachscheidungsfamilie" benötigt in besonderem Maße die Unterstützung durch die bei Scheidungen tätigen Berufsgruppen.
Es ist vorrangig Aufgabe der Rechtsanwälte, die auf diesem Gebiet tätig sind, für humane Lösungen einzutreten und kreativ mit dem Recht umzugehen.
Von Anfang an hat der VHTS einvernehmliche Konfliktlösungen unterstützt wie die Erarbeitung von Scheidungsfolgenvereinbarungen in Beratungsstellen und seit Mitte der 90er Jahre das Konzept der Mediation, das damals aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland gekommen ist.
Dieser Verein hat seit mehr als 15 Jahren einen ziemlich konstanten Bestand von etwa 500 Mitgliedern. In München und Umgebung finden im Monat zwei bis drei Vortragsveranstaltungen statt, die für Jedermann zugänglich sind.
Es gibt für die Betroffenen diverse kostenlose Informationsunterlagen und außerdem preisgünstige Broschüren über alle wesentlichen Rechtsgebiete, die mit Scheidung zusammenhängen. Darin werden nicht nur wichtige Rechtsinformationen vermittelt, sondern immer auch Tipps und Anregungen gegeben, es gibt, sich über wichtige Fragen auf dem jeweiligen Rechtsgebiet zu einigen.
Die für den VHTS tätigen Kolleginnen und Kollegen und der VHTS haben die Entwicklung des Münchener Modells von Anfang an mit großer Sympathie verfolgt. Zu Beginn der 90er Jahre hatte der VHTS eine Broschüre veröffentlicht, in der auf der Grundlage einer Diplomarbeit dargestellt wurde, wie sehr streitige Auseinandersetzungen über die elterliche Sorge und den Umgang, wenn sie durch Rechtsanwälte über längere Zeit ausgetragen werden, geeignet sind, die familiären Beziehungen zu schädigen. Wir begrüßen es daher sehr, dass durch das Münchener Modell und entsprechende gesetzliche Neuregelungen die gerichtliche Klärung Auseinandersetzungen über elterliche Sorge und Umgang wesentlich humaner geworden ist. Auf diesem Gebiet hat sich die Scheidungskultur erheblich verbessert.
Wir sind 1997 in Podiumsdiskussionen für die Reform des Kindschaftsrechts eingetreten, insbesondere für die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge als Regelfall. Unsere Erfahrung ist, dass Auseinandersetzungen um die elterliche Sorge bei unseren Mitgliedern kaum mehr eine Rolle spielen.
Die Interessenten in den Vortragsveranstaltungen und die Mitglieder des Vereins Humane Trennung und Scheidung setzen sich überwiegend aus Menschen zusammen, die eben gerade nicht wollen, dass ihre eigene Scheidung "streitig" wird. Zwar bedeuten Trennung und Scheidung von Ehepartnern immer eine Lebenskrise, die nicht einfach zu bewältigen ist; andererseits ist Scheidung in unserer Gesellschaft ein Normalfall geworden.
Der Verein Humane Trennung Scheidung und die Anwälte, die in diesem Rahmen tätig sind, unterstützen die Zusammenarbeit mit Beratungsstellen, mit Psychologen und Psychotherapeuten, die Trennungs- und Paarberatungen durchführen, sowie mit den Jugendämtern. Zugleich ist aber festzustellen, dass in der Mehrzahl der Fälle diese Form der Unterstützung weniger gefragt ist als vielmehr anwaltliche Hilfe bei der Regelung der zahlreichen materiellen und rechtlichen Fragen.
Aus diesem Grunde sind die diversen Vortragsveranstaltungen sowie individuelle Kurzberatungen für Mitglieder sehr wichtig und haben einen sehr positiven Effekt. Die Betroffenen sehen das "Licht am Ende des Tunnels". Sie orientieren sich im Hinblick auf ihre Zukunft neu und werden dabei unterstützt, sich bei der Regelung der finanziellen und sonstigen Fragen im Interesse ihrer Familien aktiv einzubringen. Der Verein Humane Trennung und Scheidung hat die Philosopie der "humanen Scheidung" in seinen Namen aufgenommen, um diese Botschaft nach außen zu propagieren und zu verdeutlichen.
Diese Philosophie liegt jedoch ausgesprochen oder unausgesprochen auch der Arbeit der anderen Professionen zugrunde, die bei Ehescheidungen aktiv sind: Zunächst sind viele Rechtsanwälte zu nennen, die in Familiensachen im Interesse der Familien bewusst auf faire und einvernehmliche Regelungen hinwirken. Anwälte und Sozialpädagogen, die Mediation durchführen, unterstützen ebenfalls den Prozess der Kommunikation und der Verständigung zwischen den Ehegatten, mit dem Ziel zu einem fairen Interessenausgleich zu kommen.
Psychologische Beratungsstellen und Jugendämter arbeiten im gleichen Geist. Last but not least sind es die Familienrichter, die darauf hinwirken, die streitigen Rechtsfragen durch einen Vergleich über Einzelfragen oder umfassende Vereinbarungen zu erledigen.
Der Verdienst des Münchener Modell ist es, die beteiligten Rechtsanwälte immer wieder mit der Frage zu konfrontieren:
"Muss ich diesen Vortrag jetzt wirklich noch bringen oder ist es inzwischen nicht mehr angemessen, sich allzu kritisch über die gegnerische Partei auszulassen?"
Das Münchener Modell hält die Rechtsanwälte dazu an, ihre eigene Arbeitsweise zu reflektieren und zu hinterfragen. Es fördert die Idee, möglichst rasch in einer Verhandlung eine einvernehmliche Lösung zu finden. Es fördert die Erkenntnis: Für die Kinder ist es das Allerwichtigste, dass die Eltern sich einigen. In aller Regel ist nicht der Inhalt einer Regelung das Entscheidende, sondern die Tatsache der Einigung als solche.
Informationen über den Verein Humane Trennung und Scheidung finden sich auf der Website www.vhts.de.
Die Philosophie der humanen Scheidung kommt auch zum Ausdruck in dem Buch des Unterzeichners "Trennung und Scheidung einvernehmlich gestalten – Rechtslage und Vereinbarungen", Bundesanzeigerverlag, 4. Aufl. 2010. Dieses Buch enthält umfassende Rechtsinformationen über die wesentlichen Scheidungsthemen und zugleich werden viele Praxistipps gegeben, wie man sich einigen kann.
Ich wünsche mir, dass die Zahl der Kolleginnen und Kollegen weiter zunimmt, die sich der besonderen Verantwortung bewusst sind, die Rechtsanwälte bei einer Ehescheidung im Interesse des Mandanten und seiner Familie haben und dass sich immer mehr für faire, einvernehmliche und damit humane Lösungen einsetzen.